Derzeit ist eine Revolution im Gange und wir besitzen die Fähigkeiten und Kompetenz, um ganz vorne mit dabei zu sein. Jeden Tag stellt die Forschung aufs Neue unter Beweis, dass der Geist die Vormachtstellung gegenüber dem Körper einnimmt. Wir als Hypnotiseure haben eine noch viel größere Spielwiese bekommen.
Die Neurowissenschaft bestätigt, dass sich die Veränderungen, die wir bei unseren Klienten erleben, direkt auf ihr Gehirn auswirken. Anhand der Epigenetik zeigt sich, dass die Genexpression durch unsere hypnotischen Interventionen aktiviert oder deaktiviert wird und dass sich damit sogar das Wachstum neuer Gene fördern lässt. Heute wissen wir, dass sich alles, was wir tun, auf alle Systeme des Körpers auswirkt.
Der Geist ist nicht mehr nur im Gehirn angesiedelt!
Im ganzen Körper werden Neuropeptide gebildet. Serotonin wird zumeist im Darm gebildet. Wir wissen mittlerweile auch, dass sogar das Herz die gleichen für unser Denken zuständigen chemischen Stoffe wie das Gehirn bildet. Candace Pert, die Frau, die den Opiatrezeptor entdeckte, sagte dazu:
«Unser Körper ist unser Unterbewusstsein».
Wie spannend ist es, Veränderungen zu beobachten und zu wissen, dass dabei eine Kaskade von unsichtbaren, aber messbaren Transformationen im Spiel ist. Wir lernen, dass jede Erinnerung formbar ist und jede Wahrnehmung biochemischer Natur. In meinen Kursen zeige ich den Hypnotiseuren, wie sie verschiedene Regionen des Gehirns strategischer mit einbeziehen, damit sich die Veränderungen generalisieren. Mit unserer Arbeit entfachen wir ein Feuer, das sich verbreitet und in Bereichen entzündet, die wir uns vor zehn Jahren noch nicht einmal vorstellen konnten.
Ich bin so etwas wie ein Forschungsjunkie. Dabei kommen mir allerlei Ideen, die sich in meiner Hypnosepraxis umsetzen lassen, und mein Gehirn produziert so ständig die guten Drogen, die meine Faszination immer wieder anfachen. Meiner Meinung nach liegt der wichtigste Fortschritt für uns Therapeuten in den neuesten Erkenntnissen zur Gedächtnisrekonsolidierung.
Neuronen, die gleichzeitig feuern, verdrahten sich untereinander.
Seit mehr als zehn Jahren wissen wir, dass «Neuronen, die gleichzeitig feuern, sich untereinander verdrahten» und dass unsere Klienten, wenn wir sie in Selbsthypnose unterweisen, neue neuronale Verbindungen schaffen und Veränderungen in ihrem Gehirn herbeiführen. Durch Wiederholung kommt es zu Veränderungen im Gehirn und gewohnte Muster verlieren ihre Form. Aber was ist mit all jenen scheinbar wundersamen Veränderungen, die wir oft schon nach einer Sitzung in unserer Praxis beobachten? Genau diese Frage beschäftigte mich ziemlich lange…
Gedächtnisrekonsolidierung ist die Antwort
Zum therapeutischen Einsatz der Tatsache, dass das Gehirn formbar ist, gibt es mittlerweile erstaunlich viele Studien. In den vergangenen Jahren wurde nachgewiesen, dass das Gehirn bestimmte Erinnerungen verändern oder löschen kann, sogar solche emotionale, noch nicht ausgesprochenen, die in den tieferen Bereichen des Gehirns und außerhalb der bewussten Wahrnehmung gebildet wurden. Genau an diesen frühen Erinnerungen, die die Grundlage unseres Denkens über uns selbst, unser Sicherheitsdenken, unsere Fähigkeiten und all die anderen Konzepte bilden, arbeiten wir in unserer Praxis.
Wenn wir die Bedingungen für eine Löschung früher impliziter Erinnerungen schaffen, ändert sich auch die Erinnerung an Erfahrungen, die den Menschen geprägt haben. Dies bewirkt, dass die emotionalen, kognitiven, verhaltensmäßigen und sogar kinästhetischen Symptome verschwinden. Das passiert auf eine Weise, die eine Wiederholung unnötig macht.
Bruce Ecker schreibt im Juni 2015 in seinem Artikel «Memory reconsolidation understood and misunderstood» (Gedächtnisrekonsolidierung verstanden und missverstanden):
«Es gibt immer mehr wissenschaftliche Belege dafür, dass bei der Löschung die neuronale Codierung des zielorientierten Lernens aufgehoben wird (*). Die Entdeckung eines Löschvorgangs stellte so etwas wie einen Umbruch dar. Sie revidierte die fest verankerte Schlussfolgerung, die auf nahezu einem Jahrhundert währenden Forschungen basierte, dass die subkortikalen emotionalen Lernprozesse eines Menschen lebenslang unlöschbar erhalten bleiben (**).
Wenn ein kleines Kind beispielsweise ständig von seinen verärgerten Eltern angefahren wird, sobald es ein Bedürfnis äußert, lernt es, seine Bedürfnisse oder seinen Kummer nicht mehr auszudrücken oder gar zu fühlen und von anderen weder Verständnis noch Trost zu erwarten. Diese Lernerfahrung kann vollständig im impliziten Lernsystem vonstattengehen, ohne dass sie durch bewusstes Denken oder Begriffsbildung dargestellt werden muss. Das Kind konfiguriert sich nach dieser adaptiven Lernerfahrung, um in seinem Familienumfeld möglichst wenig leiden zu müssen.
Zu einem späteren Zeitpunkt in seinem Leben hat genau dieses erlernte Muster prägende, extrem aufwändige persönliche Konsequenzen. Die Lernerfahrungen in diesem Beispiel sind ganz genau definiert, trotzdem werden sie ohne bewusste Wahrnehmung des erlernten Musters oder des damit zusammenhängenden emotionalen Zweckes des Selbstschutzes und seiner Notwendigkeit gebildet und ausgelebt. Unbewusst prägen diese Lernerfahrungen die Verhaltensweise des Kindes und später auch des Erwachsenen, sodass sich diese Person überhaupt nicht dessen bewusst ist, dass sie ihr Leben nach diesen besonderen Lernerfahrungen ausrichtet.
Die neuronalen Schaltungen, die diese Lernerfahrungen kodieren, sind hauptsächlich in den subkortikalen Bereichen des impliziten Gedächtnisses angesiedelt, in denen implizites, stilles, emotional drängendes, prozedurales Wissen gespeichert ist, und nicht hauptsächlich in den neokortikalen Bereichen des expliziten Gedächtnisses, in denen das bewusste, episodische, autobio- grafische, deklarative Wissen gespeichert ist (Schore, 2003).
Unter welchen Bedingungen findet nun eine Rekonsolidierung statt?
Zunächst müssen wir auf das emotionale Gedächtnis zugreifen. Dafür gibt es verschiedenste Möglichkeiten. Wir können uns in die verhaltensmäßige, emotionale oder somatische Erfahrung einklinken, um das entsprechende neuronale Netzwerk zu erleuchten, das mit dem impliziten Gedächtnis verbunden ist. Dadurch wird das Gedächtnis in einen formbaren Zustand versetzt, so als ob wir es aus dem Gehirn herausheben und es wieder labil wird.
Am wichtigsten ist es, eine Erfahrung der Diskrepanz zu schaffen. In der Neurowissenschaft wird dies als «Vorhersagefehler» bezeichnet. Das bedeutet, dass das Gedächtnis eines Klienten, der in einer Situation Angst verspürte, nach der Sitzung aber nicht mehr, aktualisiert wird. Indem wir unseren Klienten dahin bringen, dass er bei einem auslösenden Reiz ganz anders reagiert oder fühlt, konsolidiert das Gehirn das involvierte Netzwerk.
Wenn man es sich genauer überlegt, macht es aus evolutionärer Sicht absolut Sinn, ein Gehirn zu haben, das die Informationen ständig an die sich ändernde Umgebung anpasst.
Wir sollten außerdem bedenken, dass wir unser Gehirn bei jeder Erinnerung unwissentlich im Laufe der Zeit immer wieder ein klein wenig aktualisieren. Es stimmt also und ist paradox, dass die beste Möglichkeit, um eine Erinnerung zu behalten, die ist, sich nicht daran zu erinnern.
Lernerfahrungen prägen das Verhalten eines Kindes und später des Erwachsenen
In traditionelleren Therapiesitzungen rufen sich die Klienten leider traumatische Erinnerungen mit den gleichen Emotionen und ohne besondere Veränderung wieder ins Gedächtnis, was dazu führt, dass die Erinnerung daran noch mehr gefestigt wird. Eigentlich möchte der Therapeut ja genau das Gegenteil erreichen. Ohne emotionale Verschiebung kann also keine Rekonsolidierung ausgelöst werden.
Deshalb sind wir als Hypnotiseure in der optimalen Lage, Veränderungen herbeizuführen. Es ist unerheblich, welche Art der Hypnose praktiziert wird, solange eine schnelle Verschiebung der emotionalen Reaktion auf Reize erzeugt wird.
Forschung ist ein wesentlicher Teil des Paradigmenwechsels, der die Festen der westlichen Medizin erschüttert. Ja, die Revolution ist in vollem Gange. Bist du bereit?
Melissa Tiers, USA
Clinical Hypnotist, mehrfach preisgekrönte Autorin
Internet: www.melissatiers.com
* Clem & Huganir, 2010; Debiec, Díaz-Mataix, Bush, Doyère, & LeDoux, 2010; Díaz-Mataix, Debiec, Le- Doux, & Doyère, 2011; Jarome et al., 2012
** LeDoux, Romanski, & Xagoraris, 1989; Milner, Squire, & Kandel, 1998